Theodor – ein Geschenk Gottes, dafür steht jedenfalls der Vorname des 10. Aalkönigs der Neuzeit. Alle kennen ihn seit langem als Theo Waigel, der von April 1989 bis Oktober 1998 Bundesminister der Finanzen war. Damit hatte er dieses Amt länger als alle seine Vorgänger und bisherigen Nachfolger inne. Jahre eines Finanzministers – so einst seine eigene Betrachtung – zählen wie Jahre eines Pferdes, nämlich siebenfach. Das trifft ohne Zweifel auf die Anforderungen und Lasten zu, die der oberste “Herrscher der Bundeskasse“ zu tragen hat.
Noch länger – von 1988 bis 1999 – stand Theo Waigel an der Spitze der CSU, der bayerischen Schwesterpartei der CDU. Auch diese Funktion forderte den ganzen Mann, zumal Ober- wie Niederbayern einem feinsinnigen Politiker aus dem bayerischen Schwabenland nicht immer und überall mit Jubelgesängen applaudieren.
Am längsten war Theo Waigel Mitglied im Deutschen Bundestag: Von 1972 bis 2002 arbeitete er als Parlamentarier, davon 28 Jahre in Bonn. In dieser Zeit lernte er das Rheinland und seine Menschen kennen und lieben. Die Krönung zum Aalkönig des Rheinlandes ist somit die Krönung des einzigartigen Lebens- und Berufsweges eines Mannes, der sich um unsere Republik verdient gemacht hat. Bis heute gilt Theo Waigel zu Recht als wertvolle Konstante deutscher wie europäischer Politik.
Theo Waigel war nicht nur lange Zeit Finanzminister; unter seiner Verantwortung sind auch andere wichtige Entscheidungen deutscher Finanzpolitik getroffen worden. So ist die deutsche Währungsunion sein Werk. Unsere Landsleute in Ostdeutschland riefen nach der D-Mark und wollten nicht länger die Mark der DDR behalten. Theo Waigel hat damit einen der zentralen Bausteine der politischen und wirtschaftlichen Einheit Deutschlands geschaffen. Davon spricht heute kaum noch jemand, weil die deutsche Einheit längst vollendet ist. Allein dies reicht uns um ihn aus der Reihe seiner Vorgänger und Nachfolger hervorzuheben.
Aber in seinen Händen lag auch die Ausverhandlung und Durchführung der Europäischen Währungs- und Wirtschaftsunion auf deutscher Seite. Sie verbindet sich vor allem mit seinem Namen. Auf einen von ihm im Dezember 1995 im Europäischen Rat eingebrachten Vorschlag geht der Name „Euro“ für die gemeinsame europäische Währung zurück. Andere Länder wollten nämlich den ECU. „Der Euro ist mein Schicksal“, hatte er einmal gesagt; und das stimmt. Auch heute noch, in der schmerzhaftesten Krise, die die EU durchmacht, ist er noch ein gefragter Ratgeber. Gleichwohl dürften es gerade für ihn schwere Zeiten sein, die riesigen Schuldenprobleme einiger EURO-Staaten und viele kriselnde Banken zu sehen.
Theo Waigel gilt als bodenständig wie es für viele Bayern gilt. Allerdings wurde ihm keineswegs an der Wiege versprochen, dass er einmal eine der wichtigsten Persönlichkeiten der jüngeren deutschen Geschichte sein würde. Sein Großvater war Weber, sein Vater Maurerpolier und seine Mutter Bäuerin. Geboren am 22. April 1939 im schwäbischen Oberrohr, machte er das Abitur am Simpert-Kraemer-Gymnasium in Krumbach und begann 1959 das Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in München und später in Würzburg. Im Jahre 1963 – im heute unvorstellbar jugendlichen Alter von 24 Jahren – beendete er das Studium mit dem ersten juristischen Staatsexamen. 1967 folgte das zweite Staatsexamen sowie seine Promotion zum Dr. jur.
Nach einer Tätigkeit als Gerichtsassessor bei der Staatsanwaltschaft zog es Waigel in die Politik. Er wechselte 1969 als Persönlicher Referent des Staatssekretärs in das Bayerische Staatsministerium der Finanzen, später arbeitete er in gleicher Funktion beim Bayerischen Staatsminister für Wirtschaft und Verkehr. Danach begann sein politischer Aufstieg, wobei er die „Ochsentour“ auf sich nahm – vom Mitglied des Kreistages bis zum ersten Stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Er hat also Politik von der „Pike auf“ gelernt. Zuletzt (14. Wahlperiode) war er mit 54,8 % der Stimmen direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Neu-Ulm. Auf dem Parteitag am 18. Juli 2009 wurde er zum Ehrenvorsitzenden der CSU gewählt.
Theo Waigel hat eine Art, die Menschen für sich zu gewinnen. Er ist ein zutiefst dem feinen Humor zugewandter Mensch. Und dass Humor auch politisch eine ernstzunehmende Größe ist, hat er immer wieder an entscheidender Stelle bewiesen. Damit sind zum Beispiel die deutsch-sowjetischen Verhandlungen über den Truppenabzug der russischen Truppen aus Ostdeutschland (Überleitungsvertrag) gemeint. Der Verfasser dieser Zeilen hat dies selbst erlebt, weil er damals als Protokollführer an den Verhandlungen beteiligt war.
Eine entscheidende Sitzung über den Abzug der Truppen und deren Finanzierung fand am 6. September 1990 im Kanzleramt – bezeichnenderweise im „Nato-Saal“ – zwischen Waigel und dem stellvertretenden russischen Ministerpräsidenten Sitarjan statt. Das war ein Pokerspiel ums Geld, das sehr hart verlief und über Stunden ging. Die Ausgangspunkte lagen meilenweit auseinander. Die russische Seite wollte vor allen Dingen ihren Offizieren und Soldaten nach der Rückkehr in ihre Heimat annähernd den gleichen Lebensstandard sichern, wie sie ihn in der DDR hatten. Die Sowjetunion hatte Angst vor sozialen Unruhen in der zurückkehrenden Armee. Deutschland war hingegen an möglichst geringen Geldleistungen interessiert und bot vor allem ein Programm zum Bau von Wohnungen für Offiziere und Ausbildungsleistungen für die Mannschaften an.
Mitten in der Nacht, als die Verhandlungen an einen toten Punkt gelangt waren, wurde eine erneute Arbeitsgruppe von Fachbeamten eingesetzt, die sich zu weiteren Detailberatungen zurückzog. In der Zwischenzeit saßen sich die beiden Minister am Verhandlungstisch gegenüber und erzählten sich zur Verkürzung der Zeit fast eine Stunde ununterbrochen Witze, was die Dolmetscher zu Extremleistungen angespornt haben muss. Denn Pointen in einer anderen Sprache „rüber zu bringen“ ist extrem schwer. Auf jeden Fall hat dies die Verhandlungsatmosphäre deutlich aufgelockert und zur Lösung des Problems beigetragen.
Nach Mitternacht, die Arbeitsgruppe tagte noch, bekamen alle Verhandlungsteilnehmer Hunger. Es war aber weder in der Kantine des Kanzleramtes noch in den umliegenden Restaurants etwas Essbares zu bekommen. Es wurde schließlich das Hausmeisterehepaar in der Bayerischen Landesvertretung von Waigel geweckt, das dann Schnittchen schmierte und ins Kanzleramt brachte. Die Verhandlungen gingen bis drei Uhr in der Frühe und wurden soweit abgeschlossen, dass sich Bundeskanzler Kohl und Präsident Gorbatschow nur noch über die Endsumme einigen mussten. Schließlich waren die Kosten für den Abzug von mehr als einer halben Millionen Menschen und 2,7 Millionen Tonnen Material der sowjetischen Truppen mit 15 Mrd. DM ein echtes „Schnäppchen“ zumal 3 Mrd. DM davon vorzeitig getilgte Kredite waren. Später hat Theo Waigel einmal eingestanden, er hätte auch 85 Mrd. DM für den Abzug gezahlt.
Bad Honnef und das Rheinland können sich auf die Regentschaft des Aalmonarchen Theo I. freuen. Denn er wird alle Probleme und Herausforderungen mit Engagement angehen und mit Erfolg lösen.
Professor Horst-Dieter Westerhoff
Traditionelle Krönungszeremonie